Großer Schritt zur Geschlechtergerechtigkeit: Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern verschwindet

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Die praktischen Auswirkungen dieses Urteils sind vielfältig. Unternehmen werden dazu angehalten, ihre Gehaltsstrukturen zu überprüfen und sicherzustellen, dass Frauen und Männer für gleichwertige Arbeit auch gleich bezahlt werden. Dies erfordert möglicherweise die Anpassung von Lohnsystemen und die Beseitigung geschlechtsspezifischer Diskriminierung. Es wird erwartet, dass das Urteil eine Signalwirkung hat und andere Gerichte sowie Unternehmen dazu ermutigt, ähnliche Maßnahmen zur Förderung der Lohngleichheit zu ergreifen.

Recht auf gleichen Lohn: Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts Erfurt

Aufgrund der Klage einer Vertriebsmitarbeiterin gegen ihren früheren Arbeitgeber erging das Urteil am 16. Februar 2023. Die Arbeitnehmerin hatte am 1. März 2017 ihre Tätigkeit aufgenommen und hatte mit ihrem damaligen Arbeitgeber vereinbart, dass sie ein Grundgehalt von 3.500,00 Euro brutto erhalten würde. Zusätzlich sollte ab dem 1. November 2017 ein leistungsabhängiger Teil der Vergütung hinzukommen.

Neben der Klägerin gab es in der Vertriebsabteilung ihres früheren Arbeitgebers noch zwei männliche Kollegen. Im laufenden Verfahren wurde von Arbeitnehmerin und Arbeitgeber übereinstimmend erklärt, dass alle drei Mitarbeiter im Vertriebsaußendienst arbeiteten und mit denselben Verantwortlichkeiten und Befugnissen ausgestattet waren. Demzufolge waren sie alle in gleicher Weise tätig.

Der eine der beiden männlichen Kollegen hatte eine wesentlich längere Betriebszugehörigkeit bei dem Unternehmen. Im Jahr 2017 konnte er bereits auf 32 Jahre Tätigkeit für den Arbeitgeber zurückblicken. Mit diesem Mitarbeiter hatte der Arbeitgeber am 31. Juli 2018 einen außertariflichen Anstellungsvertrag abgeschlossen, der ein Grundgehalt von 4.500,00 Euro brutto vorsah.

Kurz vor der Arbeitnehmerin wurde am 1. Januar 2017 ein anderer männlicher Kollege vom Arbeitgeber eingestellt. Der Zweck dieser Neueinstellung bestand darin, die langjährige Vertriebsmitarbeiterin zu ersetzen, die aufgrund ihres Alters am 31. Oktober 2017 ausschied. Dem anderen Arbeitnehmer wurde vom Arbeitgeber auch die Möglichkeit geboten, zunächst ein Grundgehalt von 3.500,00 Euro brutto zu erhalten und ab dem 1. November 2017 eine zusätzliche Entlohnung basierend auf seinem erzielten Umsatz zu bekommen.

Der Arbeitgeber stellte einen weiteren männlichen Kollegen kurz vor der Arbeitnehmerin am 1. Januar 2017 ein. Dieser wurde als Ersatz für eine langjährige Vertriebsmitarbeiterin eingestellt, die altersbedingt am 31. Oktober 2017 ausschied. Dem neuen Mitarbeiter wurde zunächst ein Grundgehalt von 3.500,00 Euro brutto angeboten, und ab dem 1. November 2017 sollte er zusätzlich eine Entlohnung erhalten, die von seinem erzielten Umsatz abhängig war.

Abfolge der Maßnahmen

Nachdem die Klägerin Kenntnis von der Gehaltsdifferenz erhalten hatte, entschloss sie sich, ihren ehemaligen Arbeitgeber vor Gericht zu bringen. Sie forderte von ihm die Differenz zwischen ihrer Einstiegsvergütung und der Vergütung ihres männlichen Kollegen, der am 1. Januar 2017 eingestellt wurde. Die Klägerin begründete ihre Forderung mit dem Prinzip der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Bezug auf die Bezahlung bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit. Weder in erster noch in zweiter Instanz hatte die Klägerin mit ihrer Klage Erfolg.

Im Berufungsurteil vom 3. September 2021 (1 Sa 358/19) hatte das Landesarbeitsgericht Sachsen festgestellt, dass die Erhöhung des Grundgehalts des anderen Arbeitnehmers notwendig war, um ihn als Mitarbeiter für das Unternehmen zu gewinnen. Das Gericht argumentierte, dass das Interesse, talentierte Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter zu rekrutieren, ein reales Interesse darstellt und die Zahlung einer unterschiedlichen Vergütung in diesem Zusammenhang angemessen ist.

Neue Rechtsprechung: Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts im Fokus

Das Bundesarbeitsgericht hat am 16. Februar 2023 ein abweichendes Urteil gefällt. Es hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen auf und entschied zugunsten der Klägerin. Diese hat nun Anspruch auf eine Vergütungsdifferenz von EUR 14.500,00 brutto sowie eine Entschädigungszahlung in Höhe von EUR 2.000,00.

Derzeit sind nur die Pressemitteilung und nicht die ausformulierten Entscheidungsgründe des Bundesarbeitsgerichts verfügbar, daher ist es noch unklar, welche Gesichtspunkte zur Entscheidung des Gerichts geführt haben. Die Pressemitteilung gibt jedoch an, dass die Arbeitnehmerin aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert wurde.

Aufgrund der unbestrittenen Tatsache, dass die Klägerin und ihre männlichen Kollegen gleichermaßen qualifizierte Aufgaben erfüllt haben, die Klägerin jedoch ein niedrigeres Grundgehalt erhalten hat, konnte sie gemäß § 22 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes darauf verweisen, dass eine geschlechtsbedingte Benachteiligung vorliegt.

Gemäß der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts konnte der Arbeitgeber nicht widerlegen, dass eine geschlechtsspezifische Diskriminierung vorlag. Insbesondere konnte er nicht behaupten, dass das höhere Grundgehalt des anderen Arbeitnehmers von März bis Oktober 2017 aufgrund einer höheren ausgehandelten Vergütung gerechtfertigt war.

Wie sich das Urteil auf die Praxis auswirkt

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Februar 2023 hat bereits großes Aufsehen erregt und wird als Durchbruch für die Lohngerechtigkeit betrachtet. Meiner Einschätzung nach wurde jedoch die entscheidende Kursänderung bereits mit dem wegweisenden Grundsatzurteil vom 21. Januar 2021 (8 AZR 488/19) des Bundesarbeitsgerichts vollzogen. In diesem Urteil wurde erstmals anerkannt, dass eine geschlechtsspezifische Diskriminierung vermutet wird, wenn ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin für die gleiche oder gleichwertige Arbeit eine geringere Entlohnung erhält als ein Kollege oder eine Kollegin des anderen Geschlechts.

Eine weitere Möglichkeit für den Arbeitgeber besteht darin, nachzuweisen, dass die unterschiedliche Vergütung auf wirtschaftlichen oder finanziellen Gründen beruht. Das Gericht könnte akzeptieren, dass der Arbeitgeber auf betriebswirtschaftliche Faktoren, wie beispielsweise die finanzielle Lage des Unternehmens oder den Wettbewerbsdruck in der Branche, verweist.

Es ist wesentlich zu unterstreichen, dass die Ungleichbehandlung nicht auf Geschlechtsdiskriminierung zurückzuführen ist, sondern auf geschlechtsunabhängige Unterschiede. Ein möglicher Faktor könnte die Verfügbarkeit von Fachkräften für bestimmte Tätigkeiten sein. Wenn beispielsweise in einem bestimmten Berufsfeld ein Mangel an qualifizierten weiblichen Arbeitskräften besteht, könnte dies zu einer Entgeltdifferenzierung führen. Diese muss jedoch auf einem legitimen Ziel des Unternehmens basieren und angemessene Mittel einsetzen.

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21. Januar 2021 hebt hervor, dass die Berücksichtigung der Berufserfahrung als objektives Kriterium angesehen werden kann, unabhängig von Geschlechterdiskriminierung, um die Leistung von Mitarbeitern zu honorieren. Dabei geht man normalerweise davon aus, dass Dienstalter und Berufserfahrung parallel voranschreiten und eine höhere Berufserfahrung in der Regel zu einer besseren und effizienteren Arbeitsleistung führt. Allerdings stellt das Urteil klar, dass dieser Zusammenhang nicht uneingeschränkt gilt, da eine erweiterte Berufserfahrung nicht zwangsläufig zu einer Steigerung der Arbeitsqualität führt. Es ist wichtig zu beachten, dass die Entlohnung der Berufserfahrung nicht mit einer diskriminierenden Vergütung nach dem Lebensalter verwechselt werden darf.

Fazit

Die positive Entscheidung vom 16. Februar 2023 wird voraussichtlich andere Personen ermutigen, die möglicherweise ebenfalls eine geschlechtsspezifische Benachteiligung bei der Bezahlung vermuten, sich zur Wehr zu setzen. Es ist wahrscheinlich, dass es zu einer erhöhten Anzahl von Klagen auf Zahlung ungleicher Vergütung und zur Durchsetzung von Auskunftsansprüchen gemäß dem Entgelttransparenzgesetz kommt. Dennoch werden viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die daran interessiert sind, weiterhin Schwierigkeiten haben, verlässliche Informationen zu erhalten.

Nach dem Entgelttransparenzgesetz müssen in dem Betrieb, in dem der oder die Beschäftigte arbeitet, mehr als 200 Beschäftigte beim selben Arbeitgeber beschäftigt sein, um ein Auskunftsverlangen stellen zu können. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Februar 2023 wird meiner Meinung nach, trotz einiger kritischer Stimmen, nicht das Ende der Privatautonomie bedeuten. Tarifverträge definieren hauptsächlich kollektivarbeitsrechtliche Entgeltsysteme und müssen gemäß § 4 Absatz 4 des Entgelttransparenzgesetzes auch diskriminierungsfrei sein.

Zwar haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer grundsätzlich die Freiheit, das Entgelt zu vereinbaren, jedoch existieren gewisse Einschränkungen. Neben gesetzlichen Bestimmungen wie dem Mindestlohn begrenzen auch rechtliche Gleichbehandlungspflichten, wie beispielsweise die Forderung nach Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern, die Verhandlungsspielräume. Es ist daher künftig noch wichtiger, dass das Gebot der Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern nicht nur ein unverbindlicher Grundsatz bleibt.

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